Einige nicht mehr krank – aber weder sicher noch sichtbar
Warum es sich lohnt zu kämpfen, und warum wir jetzt nicht aufhören können!
Der IDAHOT ist der Internationale Tag gegen Homo-und Transfeindlichkeit. Am 17.5. 1990 strich die Weltgesundheitsorganisation nach jahrzehntelangen Kämpfen “Homosexualität” aus den Diagnosekriterien für psychische Krankheiten. Dieser Schritt markierte das Ende einer langen Ära, in der nicht-heterosexuelles Begehren kriminalisiert, strafrechtlich verfolgt und pathologisiert wurde. In vielen Ländern Europas wurden im selben Zeitraum Strafrechtsparagrafen verändert oder abgeschafft. [1]
Nicht sicher und selbstbestimmt
Immer noch müssen Menschen in Deutschland, die ihren Personenstand (z.b. Geschlechtseintrag im Pass) oder ihren Vornamen von männlich in weiblich oder weiblich in männlich ändern, zwei vom Gericht bestellte Gutachten einholen, die eine Eindeutigkeit der Geschlechterverortung belegen. [2]
Kinder mit ‘uneindeutigen’ körperlichen Geschlechtsmerkmalen sind weiterhin nicht vor medizinisch nicht notwendigen Genitaloperationen geschützt. Trotz einer schrittweisen Überarbeitung der medizinischen Behandlungsleitlinien sind diese Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern nicht wesentlich zurückgegangen. Das Einpressen in geschlechtliche „Eindeutigkeit“ scheint wichtiger als das Recht der Kinder auf ihre Körper.
Dahinter steckt die strategische Setzung, dass Medizin und Psychiatrie mehr „Wissen“ über die Menschen hätten als diese selbst. Staatliches Ordnungsinteresse steht über der Selbstbestimmung der Menschen und wird so weit überzogen, dass einer juristischen Geschlechtsangleichung oder einer Uneindeutigkeit kriminelles Potential unterstellt wird: Menschen könnten ihren Namen ändern, um sich dadurch einer Verfolgung durch die Behörden zu entziehen; Intergeschlechtliche Menschen könnten die Öffnung der Ehe einklagen.
Unter Kontrolle der (Zwangs)Institutionen
Gleichzeitig sind Institutionen, in denen Personen von der Sorge und Willkür Anderer abhängig sind, immer besonders schwierig für LSBTIQ Personen. Hierzu gehören Pflegeheime oder Krankenhäuser, aber verstärkt auch Psychiatrien und Gefängnisse, die einer heteronormativen Logik folgen und diese durchsetzen wollen. Menschen werden dort geschlechtergetrennt eingeteilt. Ihr Ankämpfen gegen Normen wird als Beweis für ihre psychische Belastung gewertet. Vor diesem Hintergrund erreichte im Januar diesen Jahres eine überraschende Nachricht die internationale Trans*-Community: Die Whistleblowerin Chelsea Manning, die US-amerikanische Kriegsverbrechen öffentlich gemacht hat, sollte bis 2045 als Frau in einer Justizvollzugsanstalt für Männer inhaftiert bleiben. Sie musste dort lange für die Genehmigung einer Hormonersatztherapie und geschlechtsangleichender Maßnahmen kämpfen. Am 17.5. diesen Jahres wird sie vorzeitig entlassen. [3]
Gefängnis, staatliche Verfolgung und Mord damals in Deutschland
Menschen wurden und werden aufgrund ihres Begehrens und ihrer Identität diskriminiert, verfolgt und eingesperrt. In Frankfurt am Main fand in den 1950er Jahren eine massive Verfolgung von Männern statt, die unter dem §175 verurteilt worden sind. Die Staatsanwaltschaft benutzte einen jungen Mann als Kronzeugen: Sie fuhren ihn durch Frankfurts Straßen und er sollte ihnen die Wohnungen seiner vermeintlichen Freier zeigen. Sein Adressbuch wurde benutzt, um weitere Männer zu finden, zu verhaften und mit Erpressung zur Freigabe neuer Namen zu zwingen. Es wurde gegen über 200 Frankfurter ermittelt, 6 Personen nahmen sich wegen der Repressionen das Leben. Die Frankfurter Öffentlichkeit begrüßten zunächst die Prozesse, erst die (internationale) Problematisierung der eingesetzten Sonderzuständigkeit der Kammer am Landgericht änderte das – jedoch nicht den öffentlichen Zuspruch zur strafrechtlicher Verfolgung der (schwulen) Männer.
… und heute immer noch auf der Welt
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Heute sind es Adressbücher und Fotos in Handys oder Verbindungen in sozialen Medien, die von den Tschetschenischen Repressionsorganen in ihrer Verfolgungswelle benutzt werden, um immer mehr Männer zu inhaftieren, zu foltern und zu töten. Die Situation für LGBTIQ in Russland ist seit Jahren schwierig. Sowohl durch Polizei und Sicherheitskräfte als auch die eigenen Herkunftsfamilien erfahren sie in ihrem Alltag Diskriminierung und Gewalt. Doch aktuell hat sich ihre Situation dramatisch zugespitzt: In systematischen Razzien werden homosexuelle Männer ausfindig gemacht, in Gefängnisse gebracht, misshandelt und gefoltert. Erste Todesfälle sind bekannt geworden. Selbst wenn die Männer aus den Gefängnissen frei kommen, erwartet sie die Verfolgung durch ihr unmittelbares soziales Umfeld. Ein Sprecher des tschetschenischen Machthabers Kadyrow kommentiert die Nachfragen der internationalen Presse mit dem Hinweis, dass es in Tschetschenien keine Homosexuellen gäbe und sie von ihren Familien an Orte geschickt würden, von denen sie nie zurückkehren werden. Journalistische Recherchen aus der Region berichten von Familien, die ihre Verwandten zurück verlangten, um sich selbst um sie zu ‘kümmern’.
Wer kein Asyl gibt, beteiligt sich am totschweigen
Die Negierung der Existenz von Homosexualität ist ein scharfes Schwert: Verschweigen und unsichtbar Machen tötet. Wer nicht zu existieren scheint, der hat auch keine Rechte, kann sich nicht organisieren und erhält keine Unterstützung. Einigen wenigen Männern gelingt die Flucht in russische Großstädte, doch das russische Meldesystem macht es lokalen Behörden einfach die neuen Wohnorte ausfindig zu machen. Das Gesetz zur Unterlassung homosexueller Propaganda wiederum macht es Organisationen fast unmöglich öffentlich auf Anfeindungen und Gewalt aufmerksam zu machen und Unterstützung zu leisten. Aktivist_innen, die am 1. Mai in St. Petersburg durch einen “Die-In” auf die Situation in Tschetschenien aufmerksam machten, wurden noch vor Ende der Aktion festgenommen.
Umso wichtiger ist es, Organisationen vor Ort bei ihrer Arbeit zu unterstützen und hier in Deutschland das Asylrecht der verfolgten Männer durchzusetzen. Mahnende Worte genügen nicht. Die Verfolgung auf Grund sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität muss als Asyl- und Schutzgrund anerkannt werden und nicht oberflächlich, klischeehaft und entwürdigend nur geprüft. Das allzu häufige behauptet „verschieben ins Privatleben“ und „nicht auffallen“ in der Öffentlichkeit bedeutet, sich am Totschweigen zu beteiligen. Gerade die systematische Verfolgung in Tschetschenien zeigt, dass es Visa und legale Einreisemöglichkeiten in die EU und nach Deutschland braucht. Die Politik der „sicheren Herkunftsstaaten“, der beschleunigten Verfahren und der gesonderten Kasernierung verhindert einen effektiven Menschrechtsschutz von LSBTIQ Menschen (im Besonderen).
Wer Diversität, Schutz von und Offenheit gegenüber LSBTIQ Menschen ernst meint, der feiert nicht nur den 17. Mai, sondern bekämpft Homo-, Trans-, Bi- und Inter-Feindlichkeit jeden Tag. Immer und überall!
Aktuelle Informationen zur Situation in Tschetschenien und Russland: www.lgbtnet.org/en
Spendenmöglichkeit: www.lgbtnet.org/en/endonate
[1] So waren homosexuelle Handlungen in der Bundesrepublik zwar ab 1969 nicht mehr strafbar, der Paragraf 175, der dies regelte, wurde jedoch erst 1994 abgeschafft. Eine Rehabilitierung und Entschädigung der Verurteilten beschloss das Bundeskabinett nach jahrelangem Kampf von Interessensorganisationen erst im Frühjahr diesen Jahres.
[2] Menschen, die intergeschlechtlich geboren sind und/oder Geschlecht jenseits der Binarität von Mann und Frau leben, haben aktuell keine Möglichkeit dies rechtlich anerkennen zu lassen, etwa über eine 3. Option im Pass.
[3] Eine breit angelegte Kampagne hatte beim damaligen Präsidenten Barack Obama für die Freilassung Mannings plädiert, da davon auszugehen ist, dass sich die Situation von LSBTIQ Menschen unter Trump massiv verschlechtert. Dies zeigt sich bereits in der Rücknahme eines unter Obama erlassenen Gesetzes durch die Trump-Regierung, das trans* Personen an Schulen eine freie Toilettenwahl gemäß ihrer Identität ermöglichte hatte.